Das Älterwerden wird von jedem Menschen anders empfunden. Während die einen bereits mit 40 Jahren das Gefühl haben den Anforderungen des Privat- und Berufslebens nicht mehr gerecht zu werden, empfinden andere das sogenannte mittlere Alter zwischen 45 und 60 Jahren als die Blütezeit des eigenen Tuns. Was sagt die moderne Forschung dazu? Wie leistungsfähig ist das Hirn im mittleren Alter?
Stephanie Neuhauser
Entscheiden – so leicht wie noch nie!
Es scheint schwierig zu sein diese Lebensphase vorurteilsfrei zu betrachten. Dennoch möchten wir hier einen solchen Versuch aus Sicht der Hirnforschung unternehmen: Tatsächlich können wir im Hirn ab ca. 45 Jahren eine veränderte Denk- und Arbeitsweise feststellen. Das Hirn hat im mittleren Alter einen Entwicklungsstand erreicht, welcher komplexe Denk- und Handlungsmuster ermöglicht. Ein Grund dafür ist die erhöhte Nervenleitgeschwindigkeit aufgrund einer Art Isolierschicht (Myelin) um die langen Nervenbahnen, welche den Informationstransfer zwischen den Nervenzellen (Neuronen) beschleunigt. Die einzelnen Hirnareale sind nun optimal miteinander verbunden und arbeiten in höchster Effizienz miteinander. Der Mensch kann nun besser als je zuvor über rationale und emotionale Faktoren nachdenken und mögliche Konsequenzen von Handlungen und Entscheidungen abschätzen. Nicht umsonst liegt das Durchschnittsalter von Astronauten bei über 46 Jahren.
Use It Or Loose It
Auch in anderen Bereichen verändert sich unser Denkorgan über die gesamte Lebensdauer. Plastizität ist die Fähigkeit des Hirns, ein Leben lang zu lernen und sich neuen Herausforderungen anzupassen. Im mittleren Alter ist diese nochmals besonders ausgeprägt. Gerade die Zeit ab 50 Jahren kann also gut nochmals genutzt werden, um Neues zu lernen und sich neuen Herausforderung zu stellen.
Genau das ist auch wichtig. Denn die Kehrseite der Plastizität: Grundsätzlich wird die Leistungsfähigkeit der meisten kognitiven Fähigkeiten schlechter, wenn sie im Alltag nicht regelmässig genutzt oder gezielt gefördert werden. Ganz nach dem Prinzip: „use it or loose it“. In den späteren Lebensphasen baut das Hirn zudem noch schneller ab. Gerade im Hinblick auf die steigende Lebenserwartung kommt dem mittleren Alter daher eine besondere Bedeutung zu. Jetzt werden nicht zuletzt die Weichen für den Erhalt der geistigen Leistungsfähigkeit im späteren Alter gestellt.
Vorbereitung auf den nächsten Lebensabschnitt
Das Hirn ist sogar in der Lage, „kognitive Reserven“ aufzubauen. Damit sind geistige Potentiale gemeint, welche derzeit nicht benötigt werden, auf die das Hirn im Alter jedoch zurückgreift, wenn die Leistungsfähigkeit allmählich nachlässt. Gezieltes kognitives Training, rege geistige Tätigkeiten, Weiterbildungen, berufliche Herausforderungen, ein abwechslungsreiches Sozialleben und regelmässige sportliche Aktivitäten führen zu einer kognitiven Stimulation und vergrössern diese Reserven. Die mittlere Lebensphase bildet also die Grundlage für eine hohe Lebensqualität im Alter. Und nun wissen Sie bereits das Wichtigste, was es dafür braucht: Fordern Sie sich regelmässig heraus!