Was passiert eigentlich in unserem Hirn, wenn jemand anders durch sein Tun unser Selbstwertgefühl beeinträchtigt? Löst dies in unserem Hirn Prozesse aus, die unser geistiges Leistungsvermögen beeinträchtigen? Aus der Hirnforschung lassen sich zu diesen Fragen Schlüsse ziehen, wie Führungskräfte Leistungseinbussen bei Angestellten vermeiden können.
Dr. phil. Kurt Stocker
Virtuelles Ballspiel und keine Chance sich zu wehren
Naomi Eisenberger, eine Hirnforscherin an der University of California in Los Angeles, untersuchte was in unserem Hirn passiert, wenn wir von anderen ausgeschlossen werden. Um dies zu untersuchen, spielten die VersuchteilnehmerInnen ein Spiel namens Cyberball. Das ist ein virtuelles Spiel, bei dem man sich gegenseitig den Ball zuspielen kann. Dieses Spiel spielten sie in Röhren von so genannten fMRI-Scannern (fMRI = funktionelle Magnetresonanztomographie). Diese Scanner ermöglichen es, zu sehen, was im Hirn passiert, währendem man eine geistige Aufgabe löst – wie eben z.B. Cyberball spielen. Den VersuchsteilnehmerInnen wurden gesagt, dass sie dieses virtuelle Ballspiel über das Internet spielen und zwar mit zwei anderen Personen, die gerade in diesem Augenblick an anderen Orten auch in einem fMRI-Scanner lägen. Die VersuchsteilnehmerInnen konnten einen Avatar sehen, der sie selbst repräsentierte sowie zwei weitere Avatare, welche die anderen zwei durch das Internet verbundenen Personen darstellten.
Doch die Versuchsanordnung war eine Täuschung. In Wirklichkeit spielte die Person, die im Scanner lag, gegen ein vorher eingestelltes Computerprogramm. Dieses war darauf programmiert, die Person im Scanner immer mehr vom Ballspiel auszuschliessen. Während die Person am Anfang noch mitmachen konnte, spielten die zwei (vermeintlichen) Mitspieler am Schluss nur noch unter sich selbst; sie spielten der Person im Scanner den Ball überhaupt nicht mehr zu. In der entscheidenden Phase wurde der Person den Ball zuerst noch sieben Mal zugeworfen und danach – für ganze 45 Mal weiteres Ballabgeben – wurde die Person ausgeschlossen. Bei so viel Arroganz würde wohl jeder von uns einfach davonlaufen. Aber die Personen waren ja im Scanner und mussten tatenlos zusehen, wie sie ausgeschlossen wurden.
Unterscheiden sich psychischer und physischer Schmerz?
Vielleicht haben Sie den wahren Grund der Studie bereits erraten. Eisenberger und KollegInnen wollten herausfinden, was im Hirn passiert, wenn wir ausgeschlossen werden (die ganze Zeit während des Ausgeschlossen Werdens konnten die Forscher ja sehen, was im Hirn passiert). Sogar wenn man den VersuchsteilnehmerInnen nach den Hirnmessungen dann mitteilte, dass keine anderen Menschen im Spiel involviert waren, beruhigten sich die Personen nicht sofort. Sie waren so aufgebracht, dass sie weiterhin davon sprachen, noch wütend zu sein und das Gefühl gehabt zu haben, dass die anderen sie ausgeschlossen hätten, weil sie etwas an ihnen nicht mochten.
Eines der wichtigsten Resultate der Hirnmessungen war, dass während des Ausschlusses vom Spiel eine spezifische Hirnregion aktiviert wurde, die dafür bekannt ist, dass sie eine der wichtigsten Regionen in unserem Hirn ist, die immer dann aktiviert wird, wenn wir physischen Schmerz erleben (z.B. Schmerz durch Hitze). Das ist eine Region beim Gehirnbalken, die sich der Anteriore Cinguläre Cortex (ACC) nennt. Das Hirn setzt die Ausgrenzung also mit physischem Schmerz gleich. Für das Hirn ist diese Ausgrenzung ungefähr das Gleiche wie eine Faust ins Gesicht.
Aktivierter Anteriorer Cingulärer Kortex vermindert Leistung
Aus anderen (physischen) Schmerzstudien von Psychologen wissen wir, dass die Schmerzaktivierung kognitive Leistungseinbussen mit sich bringt. Moore und Kollegen stellten beispielsweise fest, dass Schmerzaktivierung (ausgelöst durch Hitze) kognitive Leistungsbeeinträchtigungen in der Aufmerksamkeitsspanne, im Hin- und Herwechseln zwischen zwei Aufgaben und in der Aufmerksamkeitsaufteilung mit sich bringt. Insgesamt folgern Moore und Kollegen, dass gerade diejenigen kognitiven Fähigkeiten beeinträchtigt werden, die für das Lösen von komplexen Aufgaben notwendig sind. Die Studie von Moore und KollegInnen war keine Hirnstudie. Aber aus anderen Studien (z.B. Seifert und KollegInnen) wissen wir, dass durch Hitze ausgelöster Schmerz unter anderem den ACC aktiviert.
Bei den sozial ausgeschlossenen StudienteilnehmerInnen der Studie von Eisenberger und KollegInnen wurde auch der ACC aktiviert. Sozialer Ausschluss bedeutet, dass das Selbstwertgefühl bedroht wird (schliesslich wurden die StudienteilnehmerInnen wie ein “Nichts” behandelt). Wenn man all die oben aufgeführten Studienresultate gesamthaft betrachtet, ist es sehr wahrscheinlich (wenn auch nicht direkt belegt), dass wenn Angestellte sich in ihrem Selbstwertgefühl herabgesetzt fühlen, ihr geistiges Leistungsvermögen sinkt. Komplexe Aufgaben, die hohe Aufmerksamkeit und Konzentration erfordern, sind schwierig zu lösen wenn eines der Schmerzzentren im Hirn (ACC) voll aktiviert ist. Die wesentliche Erkenntnis für Führungskräfte ist also, dass sich aus der Sicht des Hirns ein respektvoller Umgang mit den Angestellten sehr lohnt.
Quellen:
Eisenberger, N., Lieberman, M., & Williams, K. (2003). Does rejection hurt? An fMRI study of social exclusion. Science, 302, 290–292.
Moore, D. J., Keogh, E., & Eccleston, C. (2012). The interruptive effect of pain on attention. The Quarterly Journal of Experimental Psychology, 65(3), 565–586.
Seifert, F., Schuberth, N., De Col, R., Peltz, E., Nickel, F. T., & Maihöfner, C. (2012). Brain activity during sympathetic response in anticipation and experience of pain. Human Brain Mapping.