Kann sich die Stimmung des Chefs aufs Team übertragen?

Spiegelneuronen sind spezifische Hirnzellen, die nicht nur dann feuern, wenn wir eine Aktion ausüben oder eine Emotion fühlen, sondern auch dann, wenn wir die gleiche Aktion oder die gleiche Gefühlsinformation nur beobachten. Zudem ist unser Hirn in der Lage, Gefühlsinformationen auch ganz unbewusst aufzunehmen und weitergeben zu können. Welche Bedeutung haben diese Erkenntnisse für Führungskräfte in der Geschäftswelt?

Dr. phil. Kurt Stocker

Die Entdeckung des Unbewussten Einfühlens

Zuerst wurden Spiegelneuronen zufällig bei Affen entdeckt: Anfang der 90er-Jahre von Pellegrino und KollegInnen bei Hirnuntersuchungen von südlichen Schweinsaffen (Macaca nemestrina). Die italienischen Hirnforscher der Universität Parma entdeckten, dass es einzelne Hirnzellen (spezifische Neuronen in der Motorrinde) gab, die feuern – gleichgültig, ob der Affe nun beispielsweise nach einem Nahrungsmittel griff oder dem Greifen des Nahrungsmittel nur zuschaute.

Vom Affen zum Menschen

Obwohl Psychologen schon bald die Vermutung anstellten, dass Spiegelneuronen auch im menschlichen Hirn existieren (und Befunde lieferte, die diese Vermutung indirekt stützten), konnte dies während fast zwanzig Jahren nicht eindeutig nachgewiesen werden. Diese Wissenslücke hatte damit zu tun, dass man für den eindeutigen Nachweis der Existenz einer Spiegelneurone die Aktivität einer einzelnen Hirnzelle messen muss. Dies bringt aber invasive Untersuchungsverfahren mit sich, die man bei Menschen normalerweise nicht anwendet. Trotzdem konnte 2010 der eindeutige Nachweis geliefert werden, dass Spiegelneuronen auch im menschlichen Hirn existieren.

Itzhak Fried ist ein Neurochirurg an der University of Calfornia in Los Angeles, der mittels neurochirurgischen Eingriffen Menschen mit ganz schweren Fällen von Epilepsie hilft. Die chirurgische Entfernung eines Mikrobereichs des Gehirns, von dem ein epileptischer Anfall ausgeht (die Entfernung des Krampfherds,) kann oft zur Heilung des Problems führen. Während solcher neurochirurgischen Eingriffe eröffnet sich die Möglichkeit, die Aktivität von einzelnen Hirnzellen zu messen. Einige von Frieds PatientInnen (21) waren bereit, während des Eingriffs ein paar kurze Tests zu machen, von denen man sich den eindeutigen Nachweis der Existenz von Spiegelneuronen im menschlichen Hirn erhoffte.

Eindeutiger Nachweis in Versuchen

Die Untersuchung – geleitet von Roy Mukamel – involvierte kurze passive und aktive Aufgaben für die PatientInnen. Bei der ersten passiven Aufgabe betrachteten sie kurze Videos mit zwei verschiedenen Arten von Gesichtsausdrücken: ein Ausdruck der Missbilligung (gerunzelte Stirn) und ein Ausdruck der Fröhlichkeit (Lächeln). Bei einer weiteren passiven Aufgabe betrachteten die PatientInnen wiederum kurze Videos, dieses Mal mit zwei verschiedenen Arten von handmotorischen Aktionen: Präzisionsgriff (Daumen und Zeigefinger wie eine Pinzette zusammenführen) und Kraftgriff (mit der ganzen Hand etwas packen).

Bei den aktiven Aufgaben ging es dann nicht mehr um das Betrachten dieser Gesichts- und Handaktionen, sondern darum, diese Aktionen nach dem Lesen entsprechender Begriffe auszuführen. Insgesamt fanden die Forscher elf Neuronen (in verschiedenen Bereichen), die sich genau wie Spiegelneuronen bei Affen verhalten: diese Neuronen feuerten gleich stark, gleichgültig, ob die Gesichts- oder Handaktion ausgeführt oder “nur” beobachtet wurde.

Forschung noch am Anfang

Wie viele Neuronen im Hirn Spiegelneuronen sind, wissen wir noch nicht. Ersten Befunden zufolge kommen Spiegelneuronen in verschiedenen Bereichen des Gehirns vor und können in diesen Bereichen bis zu 10% der gesamten Neuronen ausmachen.

Der Clou: Wir nehmen nicht immer wahr, dass wir Emotionen spiegeln

Eine weitere wichtige Erkenntnis aus der Psychologie ist, dass das Übertragen einer fröhlichen oder wütenden Mimik auch völlig unbewusst geschehen kann. Dies zeigt eine Studie von Dimberg und KollegInnen von der Uppsala Universität in Schweden. Den VersuchteilnehmerInnen wurden während dreissig Millisekunden glückliche, gefühlsneutrale oder wütende Gesichter gezeigt. Darauf folgte unmittelbar (für fünf Sekunden) immer ein neutrales Gesicht. Dreissig Millisekunden reichen nicht aus, dass wir etwas bewusst wahrnehmen können. Somit haben die VersuchtsteilnehmerInnen (bewusst) immer nur neutrale Gesichter gesehen.

Trotz der Tatsache, dass die fröhlichen oder wütenden Gesichtsausdrücke dem Bewusstsein nicht zugänglich waren, reagierten die VersuchsteilnehmerInnen (am stärksten eine halbe Sekunde nach der Darbietung des Reizes) mit spezifischen Gesichtsmuskelreaktionen, die den Bildern der während 30 Millisekunden dargebotenen fröhlichen, gefühlsneutralen oder wütenden Gesichtsausdrücken entsprachen. Auch rückblickend haben die VersuchsteilnehmerInnen nicht bemerkt, dass sich in ihren Gesichtern die gesehenen Gesichtsausdrücke widerspiegelten. Positive und negative emotionale Reaktionen können also völlig unbewusst weitergeleitet werden.

Spiegeln Mitarbeitende ihre Führungskräfte?

Wo liegt die Relevanz dieser Befunde für den Geschäftsalltag – zum Beispiel für Führungskräfte? Es ist empfehlenswert, diese Erkenntnisse – dass unser Hirn unbewusst innert Sekundenbruchteilen ein emotionales Signal eines Mitmenschen aufnehmen und widerspiegeln kann – sehr ernst zu nehmen. Als Führungskraft schenken einem die Angestellten in der Regel viel Aufmerksamkeit. Deshalb ist es gut möglich, wie es der Buchautor David Rock in seinem Buch Brain at Work vermutet, dass viele Angestellte unbewusst die Stimmung des Chefs widerspiegeln.

Das ist ein Grund dafür, dass Führungskräfte souverän mit Stresssituationen umgehen können müssen. Dadurch kann man das Risiko vermeiden, dass ein negatives und der konstruktiven Arbeit entgegenwirkendes Gefühl – wie z.B. eine überhöhte Angst vor der Konkurrenz – sich unbewusst in den Köpfen aller Mitarbeitenden eines Betriebs niederschlägt.

 

Literatur

Di Pellegrino G, Fadiga L, Fogassi L, Gallese V, Rizzolatti G. (1992) Understanding motor events: A neurophysiological study. Experimental Brain Research 91(1):176–180.

Dimberg U, Thunberg M, Elmehed K. (2000) Unconscious facial reactions to emotional facial expressions. Psychological Science 11(1):86–89.

Keysers C, Gazzola V (2010) Social neuroscience: Mirror neurons recorded in humans. Current Biology 20(8):R353–R354.

Mukamel R., Ekstrom AD, Kaplan J, Iacobon  M., Fried I. (2010) Single-neuron responses in humans during execution and observation of actions. Current Biology: 20(8): 750–756.

Wicker B, Keysers C, Plailly J, Royet JP, Gallese V, Rizzolatti G (2003). Both of us disgusted in my insula: The common neural basis of seeing and feeling disgust. Neuron 40(3): 655–664.

Bild:

Ein neugeborener Affe imitiert das Herausstrecken der Zunge. Auch dabei spielen Spiegelneuronen eine Rolle. Quelle: Evolution of Neonatal Imitation. Gross L, PLoS Biology Vol. 4/9/2006, e31