Das Hirn ist eine Bühne

Das Hirn ist eine Bühne

Wenn man die Funktionsweise seines Hirn so gut kennen lernen will, dass man es auch nachhaltig zu seinen Gunsten verändern kann, dann kann folgendes Bild hilfreich sein: Das Hirn ist eine Bühne. Lernen Sie, Regie zu führen, damit Sie bestimmen, was gespielt wird.

Dr. phil. Kurt Stocker

 

All the world’s a stage,

And all the men and women merely players:

They have their exits and their entrances

William Shakespeare (1599/1600)

 

Nehmen Sie Platz

In diesem Artikel lade ich Sie ein, auf dem Regiestuhl Platz zu nehmen, um sich die Bühne, Ihr Hirn, zu betrachten. Zunächst einmal befinden sich meistens ein paar Gedanken im Bewusstsein – zum Beispiel die Gedanken, die im Moment durch das Lesen dieses Artikels in Ihnen ausgelöst werden. Solche bewusste Gedanken können Sie als Ihre Schauspieler betrachten, die sich gerade auf der Bühne befinden (hauptsächliche Hirnregion: präfrontaler Kortex).

Das Publikum macht aktiv mit

Wenden wir uns nun von der Bühne weg und betrachten die Zuschauerreihen. Da hat es Zuschauer, die im Moment nicht auf der Bühne sind: unbewusste Gedanken (Hirnregionen: neuronale Netzwerke, über das ganze Hirnverteilt). Diese Zuschauer könnten aber auch auf die Bühne kommen, um mitzuspielen. Die Zuschauer in den vorderen Plätzen sind allzeit bereit, auf die Bühne, ins Bewusstsein, zu springen: zum Beispiel frische Erinnerungen, was man gerade noch so erlebt hat. Weiter hinten sitzen Zuschauer wie “analytisches Denken.” Hier müssen Sie als regieführende Person schon mehr Energie investieren, um diese auf die Bühne zu bringen (widerspiegelt sich in mehr Sauerstoff- und Glukoseverbrauch im Hirn).

Die Nebenbühne

Es gibt auch eine Nebenbühne, bei der es normalerweise sozusagen keine Regieführung braucht. Bedenken Sie zum Beispiel, wie viel sich automatisiert hat, wenn Sie am Lenkrad sitzen. Da müssen Sie nicht jede Bewegung, jeden Blick bewusst planen. Die Nebenbühne ist der Schauplatz für Routineaufgaben (Hirnregion: Basalganglien). Schön ist, dass der Betrieb der Nebenbühne viel weniger Energie (weniger Sauerstoff und Glukose) verbraucht als der Betrieb der eigentlichen Bühne (bewusstes Denken).

Der Pausenraum

Es kommt noch besser: Wenn Sie für eine Weile genug von anstrengenden Gedanken haben, gibt es nicht nur eine Nebenbühne, sondern sogar einen Pausenraum. Sie können sämtliche Schauspieler (bewusstes anstrengendes Denken) von der Bühne schicken, indem Sie sich für einen Moment voll auf die Umgebungswahrnehmung konzentrieren. Plötzlich hören Sie den Verkehr, der leise durchs offene Bürofenster dringt, oder nehmen das Weiss der Wand oder feine Bewegungen Ihres Körpers wahr. Für das Hirn ist das buchstäblich eine Pause: Die Aktivierung der entsprechenden Hirnregionen (sensomotorische Gebiete: Sehrinde, Hörrinde, Motorkortex) braucht viel weniger Energie als bewusstes Denken (das zuvorderst im Hirn, im präfrontalen Kortex, stattfindet).

Schicken Sie die Bühnenstürmer in die Umkleidekabine

Aber Achtung: Es gibt auch noch die Bühnenstürmer – allzeit bereit, sich auf die Bühne zu drängen, ohne dass Sie, die Regisseurin/der Regisseur, sie dazu eingeladen haben. Sie ahnen es schon: das sind die Gefühle (Hirnregion: limbisches System). Zum Glück gibt es mentale Techniken, mit denen man lernen kann, Bühnenstürmer wie Wut oder Angst, ohne sie zu unterdrücken, am Betreten der Bühne zu hindern (möglich mit der mentalen Technik Labeling). Manchmal sind die Bühnenstürmer aber auch – oft auch berechtigterweise – so stark, dass sie sich nicht davon abbringen lassen, die Bühne zu betreten. Eine starke Regisseurin/ein starker Regisseur hat dann aber immer noch die Möglichkeit, diese Bühnenstürmer gewissermassen in die Umkleidekabine zu schicken, damit sie als etwas Konstruktives wieder die Bühne betreten können (möglich mit der mentalen Technik Reappraisal).

Wie das Hirn zur Bühne wird, auf der Sie selbst – und nicht das Eigenleben der Gedanken und Gefühle – bestimmen, was gespielt wird, kann in Seminaren von BrainDate erlernt werden. Wenn Sie, wo sinnvoll, das Kommen und Gehen der Gedanken und Gefühle beeinflussen und auch ändern können, gewinnt Ihr Alltag ungemein an Leichtigkeit. Mit paraphrasiertem Shakespeare:

 

All the mind’s a stage,

And all the thoughts and feelings merely players:

They have their exits and their entrances

 

Die Grundidee der Metapher Hirn = Bühne stammt von David Rock, Brain at Work (2011, Campus Verlag, Frankfurt/New York).