Auf der selben Wellenlänge: Wie gelingt Verständnis?

Manchmal verstehen wir uns in einem Gespräch perfekt – wir befinden uns metaphorisch auf der «selben Wellenlänge». In anderen Situationen gelingt es uns nicht, echtes Verständnis aufzubringen oder uns selber so auszudrücken, dass wir verstanden werden. Eine aktuelle These aus der Hirnforschung besagt: Wenn wir uns verstehen, sind unsere Hirne tatsächlich im Einklang. Doch ob das gelingt, hängt stark von unseren Meinungen und Annahmen ab.

Oliver Renggli

 

Sind unsere Hirne im Einklang, verstehen wir uns

Ein Team von Hirnforschern der Princeton University untersuchte, was sich in unseren Hirnen abspielt, wenn wir etwas erzählen oder einander zuhören. Dazu legten sie sowohl Erzähler als auch ZuhörerInnen in funktionelle Magnetspintomographen und zeichneten auf, welche Hirnareale wann und wie stark aktiv waren. Ihr erstaunlicher Befund: Die aufgezeichneten Hirnaktivitäten glichen sich so stark, dass die Forscher das Phänomen als neuronale Koppelung bezeichneten. Die Gehirne von Sprecher und ZuhörerInnen synchronisierten sich gewissermassen und zeigten die selben Reaktionsmuster.

Meistens war die Hirnaktivität der ZuhörerInnen, gegenüber jener des Sprechers, leicht verzögert. Interessanterweise gab es aber auch immer wieder Sequenzen, in denen das Aktivitätsmuster zuerst bei den ZuhörerInnen auftauchte und erst anschliessend beim Sprecher.

Nach der Messung der Hirnaktivität mussten sich die ProbandInnen noch einem Verständnistest unterziehen. Das Ergebnis: Je stärker die neuronale Koppelung ausgeprägt war, je besser wurde das Gesagte verstanden. Zudem war das Verständnis offenbar auch davon abhängig, wie oft das Aktivitätsmuster zuerst beim Hörer oder der Hörerin und erst dann beim Sprecher auftrat.

Die Schlussfolgerung der ForscherInnen: Reaktionsmuster die zuerst bei den ZuhörerInnen auftauchen, deuten darauf hin, dass diese die bevorstehenden Äusserungen des Sprechers vorhersagen. Verstehen ist also ein aktiver Prozess, der eine gewisse Anstrengung bei beiden Beteiligten voraussetzt.

 

Wie unsere Annahmen gegenseitiges Verständnis beeinflussen

In einer weiteren Studie hörten Testpersonen nun eine Geschichte von J.D. Salinger. Darin verliert ein Mann, Arthur, auf einer Party seine Frau. Deshalb ruft er seinen besten Freund an und fragt diesen, ob er wisse wo die Frau sei. Die Geschichte ist bewusst so verfasst, dass sie auf verschiedene Arten interpretiert werden kann.

Bevor sie die Geschichte zu hören bekamen, gab das Team der Princeton University den Probandinnen und Probanden unterschiedliche Informationen. Der einen Hälfte wurde gesagt, dass die Frau seit einem Jahr eine Affäre mit dem Freund von Arthur habe. Die andere Hälfte ging davon aus, dass Arthur ein extrem eifersüchtiger Ehemann sei und sein Freund es langsam satthabe, ständig mit dessen Paranoia konfrontiert zu werden.

Auch hier konnte das Phänomen der neuronalen Koppelung beobachtet werden – zumindest innerhalb der selben Gruppe. Alle ZuhörerInnen, die davon ausgingen, dass die Frau untreu sei, zeigten ähnliche Hirnaktivitäten. Jene die davon ausgingen, dass Arthur paranoid sei, zeigten andere.

Unsere Annahmen und Meinungen beeinflussen also wesentlich, ob eine neuronale Koppelung zustande kommen kann oder nicht. Und nur ein einziger Satz reicht aus, um echtes Verständnis zu verhindern.

 

Konsequenzen für unsere Kommunikation im Alltag

Diese Erkenntnis können Sie in Ihrer alltäglichen Kommunikation berücksichtigen. Dabei stellen sich zwei Fragen: Wie gelingt es Ihnen, dass Sie – trotz unterschiedlichen Informationen und Meinungen – von Ihrem Gegenüber verstanden werden? Und wie gelingt es Ihnen selber, Ihr Gegenüber trotz anderen Ansichten zu verstehen? Antworten auf diese Fragen finden wir beispielsweise in der Gesprächsform des Dialogs, nach David Bohm:

  • Machen Sie sich bewusst, dass jede Wahrnehmung von Interpretationen, Annahmen und Meinungen beeinflusst wird. Und dass diese das gegenseitige Verständnis beeinflussen. Versuchen Sie daher, Ihre Annahmen während dem Gespräch für einen Moment zu suspendieren. Das heisst: Beobachten Sie Ihren Wahrnehmungsprozess und halten Sie Urteile kurz in der Schwebe, um sich ihrer gewahr zu werden.
  • Überprüfen Sie Ihre Annahmen. Fragen Sie bei Ihrem Gegenüber nach, ob Ihre Interpretationen richtig sind. Sie gehen davon aus, dass Ihre Chefin Ihre Arbeit kritisch überprüft, weil Sie Ihnen nicht vertraut? Dann frage Sie nach, ob Sie damit richtig liegen!
  • Geben Sie Ihrem Gegenüber alle Informationen, die es braucht, um Sie richtig zu verstehen. Das gilt nicht nur bei der Personalführung, sondern auch bei alltäglichen Diskussionen. Gehen Sie vom Debattieren über zum produktiven Plädieren. Dabei vertreten Sie nicht nur Ihre Meinung, sondern legen auch Ihren Denkprozess offen – also die Annahmen die Sie zu dieser Meinung führten. Dies ermöglicht es Ihren Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartnern, vom selben auszugehen und Sie dadurch zu verstehen. Unabhängig davon, ob Sie mit dieser Meinung auch einverstanden sind.

Diese Strategien sind – wie so oft in der Kommunikation – einfach zu beschreiben und brauchen doch viel Zeit und Training, um Sie im Alltag erfolgreich umzusetzen. Möchten Sie das Thema Gesprächskultur und gegenseitiges Verständnis bei Ihnen im Betrieb aufgreifen und Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine Weiterbildung oder ein Kommmunikationstraining anbieten? Wir beraten Sie gerne unverbindlich und kostenlos zu Workshops und Seminaren bei Ihnen in der Firma.

 

Quellen:

Yeshurun Y, Swanson S, Simony E, Chen J, Lazaridi C, Honey CJ, Hasson U (2017) Same Story, Different Story: The Neural Representation of Interpretive Frameworks. Psychological Science , 1-13.

Hasson U, Ghanzanfar A, Galantucci B, Garrod S, Keysers C (2012) Brain-to-Brain coupling: A mechanism for creating and sharing a social world. Trends Cogn Sci. 2012 Feb; 16(2): 114–121

Uri Hasson: This is your brain at communication. TED-Talk vom Februar 2016.

Hartkemeyer, M.& J.: Die Kunst des Dialogs. Kreative Kommunikation entdecken. Erfahrungen, Anregungen, Übungen. Klett-Cotta Stuttgart 2005

Bildquelle: Pixabay, Frits Ahlefeldt